Augen zu und Lauscher auf! – Mit Mikrofonen die Natur erkunden
Die Natur mit allen Sinnen erfahren! Riechen, Schmecken, Tasten, Hören und Sehen. Doch leider ist es in der Natur- und Umweltbildung nicht immer so einfach. Meist sind es eher die visuellen Eindrücke, die sich automatisch in den Vordergrund drängen. Denn erst wenn wir etwas sehen, schalten wir bewusst die anderen Sinne dazu. Dieses Phänomen tritt z.B. häufig bei Vogelstimmenwanderungen auf. Vielen Menschen fällt es schwer, auf etwas zu lauschen, was sie nicht sehen können. Unwillkürlich wird nach der Quelle des Vogelgesanges gesucht, anstatt einfach nur zuzuhören.
Lärm lass nach!
Noch schwieriger wird es, wenn man die leisen Klänge in der Natur aufspüren möchte. Der Verkehrs- und Fluglärm ist vielerorts omnipräsent und überprägt alle anderen Naturgeräusche. Zum Glück ist unser Gehirn hier zu einer besonderen Leistung fähig. Selbst bei größten Störgeräuschen kann es bestimmte Klänge und Geräuschmuster heraushören, wie z.B. auf einer Party. Denn obwohl viele Menschen gleichzeitig sprechen, können wir gezielt die Worte eines einzelnen Sprechers wahrnehmen und gleichzeitig die anderen Geräusche unterdrücken. Dieser Effekt wir in der Wissenschaft auch als Cocktailparty-Effekt bezeichnet.
Sperr die Lauscher auf!
Dieses „Heraushören“ ist auch bei Naturgeräuschen möglich. Wenn wir uns konzentrieren und am besten die Augen schließen, hören wir plötzlich das leise flüstern eines Bachlaufes, das Zwitschern eines Vogels in der Ferne, das Knarzen eines Baumes im Wind oder das Klopfen eines Spechtes. Oft findet ein regelrechtes Klangkonzert statt. Allerdings keine Symphonie, sondern eine Biophonie. Eine Erkundung dieser Klangkulissen bietet daher auch ein prima Modul in der Natur- und Umweltbildung.
Geht da noch mehr?
Doch was ist, wenn man bestimmte Geräusche und Klänge näher aufspüren und erkunden möchte? Hier bieten sich eine Reihe von digitalen Techniken an, sei es zu Bestimmung eines Vogels oder zum Sammeln von bestimmten Naturgeräuschen. Ein klassischer Ansatz ist die Nutzung eines Richtmikrofons. Schon in den 1960er Jahren zogen OrnithologInnen los und erkundeten Vogelstimmen mit Tonbandgeräten. Heute kann man dies mit jedem Smartphone machen, vorausgesetzt ein separat angeschlossenes Richtmikrofon ist mit dabei. Die internen Mikrofone sind da weniger geeignet, da diese auf Sprache optimiert sind und Umgebungsgeräusche herausfiltern.
Ohrendschungel – der Natursymphonie auf der Spur
Einfach mit dem Smartphone, Kopfhörer und Richtmikrofon losziehen? Warum nicht? Alternativ gibt es jedoch auch gut ausgearbeitete Bildungskonzepte, wie z.B. das Projekt „Ohrendschungel – der Natursymphonie auf der Spur“, das bereits vor einigen Jahren von der Landesarbeitsgemeinschaft AGENDA 21 NRW e.V. (LAG 21 NRW) entwickelt und von der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen gefördert wurde. Das Konzept fokussiert auf Kinder im Alter von 9–13 Jahren und bietet neun Modulbausteine für eine bioakustische Erlebnistour. Darunter sind z.B. ein Tierstimmen-Hörquiz, ein Lebensraum-Orchester-Ratespiel oder Anleitungen, wie man die digitalen Hör-Techniken am besten einsetzt.
Ideal für Blindgänger!
Das Konzept von Ohrendschungel hat jedoch noch eine weitere Besonderheit! Da der Fokus auf das Hören ausgelegt ist, wird auch Blinden oder Menschen mit eingeschränkten Sehkräften eine selbstbestimmte und interaktive Erkundung in und mit der Natur ermöglicht. Für Inklusionsprojekte in der Natur- und Umweltbildung ist das ideal. Sehende und Menschen mit Seheinschränkungen können sich so zusammentun und gemeinsame Hörerlebnisse konzipieren und durchführen. In der Handreichung von Ohrendschungel sind dazu bereits einige Beispiele aufgeführt. Vermutlich sind Blinde sogar im Vorteil, da sie schon von vornherein ihr Gehör viel besser trainiert haben. Das ist sicher auch eine spannende Erfahrung für Sehende.
Beim Abhören der Aufnahmen beachtet jedoch bitte, dass ihr den Lautsprecher des Smartphones möglichst leise stellt. Noch besser ist es, einen Kopfhörer zu benutzen. Dies gilt insbesondere für Tierstimmen. Spielt man diese laut ab, irritiert dies die Tiere. Laut dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 39 BNatSchG) ist es zudem verboten, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen.
Unerhörte Natur
Statt mit einem Richtmikrofon gibt es auch noch vielfältige weitere Möglichkeiten für einen Lauschangriff in der Natur. So kann man mit einem Stethoskop die Borkenkäfer hinter der Baumrinde erkunden. Im Frühjahr lässt sich so auch das Wasser in den Leitbahnen der Baumstämme hören. Das funktioniert insbesondere bei Bäumen mit dünnen Rinden, wie Birken oder Pappeln sehr gut. In der digitalen Variante gibt es Stethoskope die sich via Bluetooth mit dem Smartphone verbinden lassen. So können die Töne und Geräusche auf dem Smartphone visualisert und weiter analysiert werden. Natürlich lassen sich die Sounddateien auch im Rahmen eines Bildungs- oder Kunstprojektes weiter bearbeiten bzw. verfremden. So kann ruckzuck aus einem Umweltbildungsprojekt ein Kunstprojekt werden. Wird vielleicht demnächst ein rappender Borkenkäfer, der von seinen Freunden und dem Klimawandel berichtet, demnächst zum viralen Videohit?
Es gibt eine Vielzahl weiterer Spezialmikrofone, wie z.B. Erdmikrofone bzw. Geophone für den Boden, Hydrophone für den Einsatz im Wasser oder Lasermikrofone für weit enfernte Objekte (z.B. Baumkronen). Von wissenschaftlicher Seite werden diese Tonaufnahmetechniken schon seit vielen Jahren unter dem Fachbegriffen Soundscape Ecology, Bioakkustik, Accoustic Ecology oder Ökoakkustik intensiv genutzt. So wurde mit hochsensiblen Mikrofen ermittelt, dass der in Ameisenkolonien parasitäre Fühlerkäfer Paussus ein Musikorgan besitzt, mit denen sie das Verhalten der Ameisen beeinflussen können. Mit bioakkusitschen Aufnahmen in Fließgewässern kann das Transportverhalten von Flusssedimenten oder das Verhalten der im Gewässer lebenden Organismen beobachtet werden. Ja selbst bei Forschungsarbeiten zum Klimawandel kommen ökoakkustische Methoden zum Einsatz. In den letzten Jahren wurden Projekte gestartet, um natürliche aber auch kulturell geschaffende Soundscapes zu archivieren. Ein schönes Beispiel für den Einsatz von Bodenmikrofonen in der Umweltforschung mit der Kombination mit Umweltbildung findet sich z.B. im Schweizer Projekt Sounding Soil.
Die Möglichkeiten mit Mikrofonen die Umwelt zu erkunden sind somit sehr vielfältig. Dass diese Techniken bisher so wenig eingesetzt werden, liegt jedoch wohl nicht nur daran, dass es an entsprechenden Konzepten fehlt. Leider können die dafür notwendigen Spezialmikrofone mit mehreren tausend Euro auch sehr teuer sein. Wer jedoch neue Umweltbildungsprojekte entwickeln möchte, sollte sich hier heranwagen. Doch auch hier gilt: Bitte die Tierwelt nicht stören! Also keine Mikrofone einfach in einen Ameisenhaufen stecken, auch wenn es noch so spannend wäre!
Welche bioakkustischen Natur- und Umweltbildungsprojekte habt Ihr schon ausprobiert und welche Erfahrungen habt Ihr damit gemacht? Ich freue mich auf Eure Kommentare.
Weitere Informationen:
Wer sich mehr für das Projekt Ohrendschungel interessiert, kann sich auf der Webseite der LAG 21 NRW die Informations- und Arbeitsmaterialien herunterladen.
Außerdem besteht die Möglichkeit einer Geräteausleihe oder einer Buchung von betreuten Führungen beim AGARD-Naturschutzhaus im Westfalenpark Dortmund sowie an der Biologischen Station Oberberg am Schloss Homburg.
Wer sich intensiver mit der Technik von Richtmikrofonen am eigenen Smartphone auseinandersetzen möchte, den empfehle ich z.B. die Seiten diverser Foren und Blogs, wie z.B. von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Strenzfeld.
Im Tierstimmenarchiv des Naturkundemuseums Berlin sind über 40.000 Tonaufnahmen von Vögeln, Säugetieren, Reptilien, Fischen und Wirbellosen online frei zugänglich. Auf der ganzen Welt sind „Geräuschesammler“ unterwegs und suchen ständig nach neuen Hörerlebnissen. Eine große frei verfügbare Datenbank findet sich z.B. bei Free To Use Sounds. Im Forum dazu findet man zahlreiche Tipps, wie man am besten Tonaufnahmen durchführt.