Erlebnispfade in das digitale Zeitalter
Lehr- und Lernpfade haben eine lange Tradition und sind heute ein fester Bestandteil in der Natur- und Umweltbildung. In Deutschland entstand der erste Naturpfad im Bredower Forst bei Brieselang unweit von Berlin. Allerdings dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis weitere Pfade hinzukamen. Erst das ansteigende Erholungsbedürfnis und die Mobiltätsmöglichkeiten ab den 1960er Jahren führten zu einem regelrechten Boom. Vor allem Waldlehrpfade erfreuten sich großer Beliebtheit. Zunächst waren es nur einzelne Tafeln, dann beschilderte Pfade, die meist von großen Wanderparkplätzen ausgingen. Oft waren die Schilder ausschließlich mit Text gefüllt. Zeichnungen oder Erklärgrafiken waren noch die Ausnahme.
Ab den 1980er Jahren änderte sich dies jedoch deutlich. Vor allem mit der Entwicklung von professionellen Umweltbildungsangeboten entstanden die ersten Erlebnispfade, bei denen auch interaktive Elemente integriert wurden. Dies sind meist Lern- und Spielstationen mit Klappen oder Drehräder. Auch die Themenvielfalt ist inzwischen in alle denkbaren Bereiche eingedrungen, sei es zu den Themen Wald, Wasser, Klima, Vegetation, Vögel, Weinbau, Kunst, Kultur, Archäologie, Baugeschichte und vieles mehr. Heute gibt es unzählige Touren, bei denen man auf diese Weise informativ und interaktiv die Umwelt erkunden kann.
Umweltbildung digital – die ersten Gehversuche
Die ersten digitalen Lehrpfade traten um die Jahrtausendwende in Erscheinung. Damals noch für die populären Palm PDAs und später auch für Windows Mobile Handhelds. Meist handelte es sich dabei um digitale Führer mit Informationstexten, die auf einer Karte oder entlang eines virtuellen Pfades eingeblendet wurden. Einige der ersten Gehversuche enthielten bereits interaktive Elemente, wie Quizze oder kleine Rätsel. Da in den frühen Geräten noch keine GPS-Empfänger integriert und die Displays sehr klein waren, war die Orientierung mit den Geräten nicht gerade einfach.
Alternativ gab es jedoch die Möglichkeit, direkt mit GPS-Empfängern zu arbeiten. Dies machte sich vor allem die Geocaching-Community zunutze, die in den 2000er Jahren rasant an Zuwachs erfuhr. Da zum Auffinden der Caches auch Rätsel integrierbar sind, entstanden indirekt auf diese Weise auch einige digitale Lehrpfade. Eine Besonderheit sind die sogenannten EarthCaches, die seit etwa 2004 als eine eigene Kategorie in den Geoache-Datenbanken verfügbar sind. Die EarthCaches müssen bestimmte Regeln mit einem Bildungsziel erfüllen. Bevor die Caches zum Spielen freigegeben werden, erfolgt eine Prüfung durch die Earth-Cache Community. Wer mehr zu den Earth-Caches wissen möchte, dem empfehle ich den Fachbeitrag von Zecha et. al. 2015.
Neben den Geocaches gab es auch noch andere Programme oder Player speziell für GPS-Geräte (der Begriff Apps wurde damals noch kaum verwendet). WhereIGo ist ein populäres Beispiel, in der auch Wissensfragen integrierbar waren. Auch heute gibt es noch eine kleine WhereIGo-Community die einige Stationen aktuell hält. Diese lassen sich entweder mit einem Garmin-GPS oder mit der Android-App WhereYouGo ansteuern. Während Geocaching nach wie vor sehr verbreitet und beliebt ist, wird WhereIgo nicht mehr weiterentwickelt.
In der 2000er Jahren war die Community noch sehr klein und das Angebot überschaubar. Leihgeräte waren üblich. Diese waren z.B. an einem Info-Point oder an einer Touristeninformation erhältlich. Dies änderte sich erst ab 2010 mit der stark zunehmenden Verbreitung von Tablets und Smartphones. Von da an hieß es immer öfter: BYOD – Bring your own device!
Analoge Konzepte für die digitale Welt?
Heute gibt es eine große Vielfalt an digitalen Angeboten für das Smartphone. In der Mehrzahl handelt es sich jedoch überwiegend um digitale Infotafeln, die man über das im Smartphone integrierte GPS ansteuert. Dies geschieht entweder direkt im Browser oder über eine eigene App. Gewissermaßen sind wir hier im Bereich der Wissensvermittlung noch wie in den 1930er Jahren, nur eben in der digitalen Variante. Diese müssen nicht schlecht sein. Ganz im Gegenteil! Denn die digitalen Pendants sind in der Umsetzung und der Pflegeaufwände meist günstiger als physische Lehrpfade. Mit knackigen und kurz gehaltenen zielgruppengereichten Informationen, evtl. noch mit einer kleinen Aufgabe versehen, kann schon eine hohe Wirksamkeit erreicht werden.
Doch leider sieht man auch allzu oft auch schlecht gemachte Lösungen. So sind mir schon Angebote begegnet, bei denen die zugehörigen Stationsinformationen auf unübersichtlichen Webseiten gesucht werden müssen. Die Überfrachtung mit Texten und Bildern ist ein häufiger Fehler. Niemand möchte auf dem Smartphone endlos wirkende Texte lesen. Die Lust ist dann schnell vorbei. Es hilft dann auch nicht, wenn kurze Spannungsmomente geschaffen werden, indem die Webseiten mit QR-Codes aufgerufen werden. Rezepte aus der analogen Welt schlage leicht fehlt. Digitale Konzepte müssen neu gedacht und erprobt werden.
Die Angst vor der digitalen Welt in der Umweltbildung
Trotz der wachsenden technischen Möglichkeiten werden auch heute noch interaktive Umweltbildungsangebote für das Smartphone eher stiefmütterlich behandelt. Dies mag auch daran liegen, dass nicht wenige Umweltbildungsakteure in diesen Techniken zunächst die Probleme oder sogar Gefahren sehen. Ein Zitat, dass ich in dieser Art des Öfteren gehört habe war: „Apps, Smartphones und Co. sind Dinge, die wir GERADE NICHT in der Umweltbildung nutzen möchten! Originale Begegnung heißt eben originale Begegnung!“.
Hier gibt es Fronten und Ängste, die man ernst nehmen muss. Eine differenzierte Betrachtung der möglichen Einsatzzwecke ist hier besonders wichtig. Es geht nicht darum, dass die Umweltbildung digitalisiert wird. Rein „analoges Naturerleben“ wird auch in Zukunft eine wichtige Stellung einnehmen. In der Bildungsarbeit sollten wir jedoch die heutigen Techniken und Möglichkeiten so nutzen, dass auch ein echter Mehrwert geboten wird. Die potenziellen Möglichkeiten gehen hier weit über die hier vorgestellten Beispiele hinaus und es gibt viele Dinge, die in der klassischen analogen Natur- und Umweltbildung so überhaupt nicht möglich sind.
Der „Pokémon GO“ Weckruf
Im Jahr 2016 fand jedoch eine gewisse Zäsur statt. Das Smartphone-Spiel Pokémon GO erschien auf dem Markt und plötzlich verlagerten tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihr Computerspielleben auf die Straße. Teilweise kam es zu Polizeieinsätzen, weil große Menschenansammlungen mit ihren Smartphone an den unmöglichsten Stellen unterwegs waren, um ein seltenes Pokémon zu erhaschen. Auch viele Umweltbildungsakteure erkannten plötzlich ein großes Potenzial in dieser Technik. Sie stellten sich die Frage: Kann man mit einem ähnlichen Smartphone-Spiel wie Pokémon GO, junge Menschen wieder mehr in die Natur locken und gleichzeitig Umweltwissen vermitteln?
Doch leider es nicht so einfach. Etwas Erfolgreiches zu kopieren heißt noch lange nicht, dass es dann auch erfolgreich ist. Zudem lassen sich die Spielmechaniken von Pokémon GO nicht ohne weiteres auf einen Lehrpfad übertragen. Allenfalls einige Augmented-Reality-Techniken, also die Einblendung von virtuellen Objekten in das Kamerabild, fanden bisher Einzug in aktuelle Lernspiele. Ein weiteres Problem sind die hohen Entwicklungskosten für diese Techniken. Hinter Pokémon GO steht ein Weltkonzern mit enormen Ressourcen. Ein Spiel mit ähnlichen Spielmechaniken ist für einen Bildungsanbieter schwer finanzierbar. Oft wird auch unterschätzt, dass auch digitale Anwendungen Wartungskosten haben, wie z.B. für die Bereitstellung einer Datenbank, Anpassungen für neue Endgeräte und Betriebssystemupdates oder für die Aktualisierung bestimmter Inhalte.
Wohin geht die Reise?
Der Hype um Pokémon GO ist inzwischen wieder verflogen, der Edutainment-Gedanke mit dem Smartphone jedoch nicht. Eine Frage lautet: Wie kann ich ein wirksames Natur- und Umweltbildungsangebot für das Smartphone realisieren, dass zugleich auch Spaß macht? Hier sind individuelle und kreative Lösungen gefragt, sei es als Ergänzung zu bestehenden Lehr-, Lern- und Erlebnispfaden oder als rein virtuelle Touren.
Erhellend in diesem Zusammenhang ist die Geschichte zum wohl weltweit ersten Naturlehrpfad. Der 1,5 km lange „Training Trail“ wurde bereits 1925 im Palisade Interstate Park in den USA eröffnet. Der Rundweg bestand aus einem erklärenden Übungsteil und einem Prüfungsteil. Die Gesamtkonzeption und die eingesetzten Methoden wären auch nach heutigen Maßstäben noch modern.
In meinen folgenden Blog-Beiträgen werde ich noch näher auf Smartphone-Apps für Lehr- und Erlebnispfade in der Natur- und Umweltbildung eingehen. Ich möchte verschiedene aktuelle und zukünftige Techniken und Technologien vorstellen und aufzeigen, welche Potenziale aber auch Fallstricke zu erwarten bzw. zu beachten sind.
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Literatur:
Ebers, S., Laux, L., Kochanek, H. (1998) Vom Lehrpfad zum Erlebnispfad – Handbuch für Naturerlebnispfade, Wetzlar, NZH, 183 S.
Lude, Armin & Schaal, Steffen & Bullinger, Marcel & Bleck, Sebastian. (2013): Mobiles, ortsbezogenes Lernen in der Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. – der erfolgreiche Einsatz von Smartphone und Co.
in Bildungsangeboten in der Natur. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg 117 S.
Zecha, S., Hilger, L. (2015): EarthCaches: An Opportunity for Learning Geoscience; a Pilot Study for Glaciomorphologically Themed EarthCaches. GI_Forum. 1. 324-334. 10.1553/giscience2015s324. Download: http://hw.oeaw.ac.at/0xc1aa500e%200x00324a55.pdf.
2 Responses
[…] meinem Beitrag „Erlebnispfade in das digitale Zeitalter“ zeigte ich bereits einige der möglichen Fallstricke auf. Doch nun soll es darum gehen, […]
[…] sind das Herz vieler Lehr- und Erlebnispfade. Meist stehen sie an zentralen Wegestellen, Aussichtspunkten oder Standorten an denen die […]