Mit Citizen Science die Umwelt entdecken
Sage es mir, und ich werde es vergessen.
Konfuzius 551 v. Chr. 479 v. Chr.
Zeige es mir, und ich werde mich daran erinnern.
Lass es mich tun, und ich werde es verstehen.
Wer hat diese Erfahrung noch nicht gemacht? Erst wenn ich mich wirklich selbst mit einem Thema auseinandersetze, fange ich an, es zu verstehen. Gerade in der Natur- und Umweltbildung stehen wir vor einer enormen Vielfalt an Umweltthemen und Komplexität an Prozessen. Doch wie kann man andere Menschen für ein bestimmtes Thema begeistern und sie dazu motivieren, etwas selbst zu tun? Keine langen Vorträge anhören! Besser ist es, die Natur mit einem Bestimmungsbuch oder einer Bestimmungs-App selbst zu erforschen.
Citizen Science – Was ist das überhaupt?
Ohne ein bestimmtes Ziel wird dies jedoch selbst für den größten Naturliebhaber irgendwann langweilig. Wie wäre es jedoch, wenn die eigene Datensammlung auch für andere Menschen und Projekte interessant wird? Mit Citizen Science wird genau dieser Ansatz aufgegriffen. Bürger (Citizens) werden zu ehrenamtlichen Forschern und so in wissenschaftliche Projekte eingebunden. Vielen bekannt dürfte die „Stunde der Gartenvögel“ sein, die regelmäßig vom NABU ausgerichtet wird.
Citizen Science ist eigentlich nichts Neues. Genau genommen handelt es sich um eine der ältesten Wissenschaftsformen überhaupt. Schon in der Steinzeit beobachteten die Menschen bestimmte Naturphänomene, führten Experimente durch und leiteten daraus Erkenntnisse ab. Vor dem Aufkommen des universitären Wissenschaftsbetriebes war Citizen Science sogar die Regel. Ab dem 20. Jh. wurde Citizen Science vor allem in den Geisteswissenschaften betrieben. Vielerorts erarbeiteten ehrenamtliche Heimatforscher Ortschroniken. Zahlreiche Hobbyarchäologen wandern auch heute noch über frisch umgepflügte Felder und kartierten archäologische Funde. Auch erkunden sie historische Strukturen mit Sportflugzeugen oder mit Google Earth aus der Luft. Die Zusammenarbeit mit Vereinen, Fachgesellschaften, Museen und Universitäten ist dabei üblich. Denn sie stellen die Schnittstelle zur wissenschaftlichen Forschung.
Die Bürgerforschung erlebt mit der Digitalisierung eine Renaissance
In den letzten Jahren nahm diese Art der Bürgerforschung einen rasanten Aufschwung. Neue Technologien und soziale Medien ermöglichen eine einfache und schnelle Vernetzung von interessierten Ehrenamtlichen untereinander. Auch der Kontakt mit Forschenden an wissenschaftlichen Einrichtungen wird stark erleichtert. So können sich nun in kurzer Zeit lokale bis globale Initiativen zusammenfinden, die sich vorher so nie gefunden hätten. Ebenso bedeutsam für den Erfolg sind der leichtere Zugang zu den Projekten und der einfachere Datenaustausch. Vor allem spezielle Citizen Science Apps mit Positionsbestimmung, Fotofunktion und Eingabemasken erlauben eine schnelle Erfassung und Übermittlung der Daten an eine wissenschaftliche Einrichtung. Umgekehrt können die Ergebnisse über das Internet schnell sichtbar gemacht werden. Zum Mitmachen reizen auch virtuelle oder sogar materielle Belohnungssysteme. Für die meisten TeilnehmerInnen reicht es jedoch, mit dabei zu sein. Die Bürgerforschung wurde so aus dem Renterdasein des 20. Jahrhunderts geholt und begeistert heute auch viele junge Menschen. Selbst kleine Projekte können eine gesamtheitlichen Bewusstseinsbildung für Umwelt und Nachhaltigkeit fördern.
Citizen Science als Lehr- und Lernkonzept
Citizen Science bietet jedoch mehr als die Erfassung und Übermittlung von Daten. Viele Projekte stellen nicht nur Hintergrundinformationen bereit, sondern bieten auch aktive Hilfen für den Erwerb von Fach- und Handlungswissen. Digitale Angebote bieten hier nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Sei es ein individueller, auf das Projektziel abgestimmter Bestimmungsschlüssel, die passgenaue Bereitstellung von Erklärvideos bis hin zu einem kontinuierlich wachsenden Pool an Lehr- und Lernmaterialien für Schulen und außerschulischen Einrichtungen. Schließlich besteht in vielen Projekten auch noch eine Vernetzungsmöglichkeit mit der Community.
Wie mitmachen?
Es gibt zahlreiche Einstiegsmöglichkeiten und die Projektvielfalt ist inzwischen kaum mehr zu überblicken. Hervorragende Übersichten bieten die Citizen Science Portale in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Europaweit sind auch viele Initiativen in der European Citizen Science Association (ECSA) zusammengeschlossen. Filtermöglichkeiten bieten eine Auswahl nach Themen, Orte, Techniken und Zielgruppen an. Während man bei einigen Projekten sofort loslegen kann, erfordern andere Mitmachaktionen bestimmte Materialen, wie z.B. bestimmte Messgeräte oder Apps. Teilweise kann man diese kostenlos über das Projekt beziehen. Es gibt aber auch Angebote, bei denen die Geräte selbst gebaut werden müssen. Weiterhin ist darauf zu achten, das bestimmte Projekte nur zu bestimmten Jahreszeiten oder nur an bestimmten Tagen durchführbar sind.
Eine kleine Auswahl gefällig?
Tote Tiere auf der Straße und am Straßenrand kartieren? Das klingt erst einmal makaber. Mit dem Citizen Science Projekt Roadkill der Universität für Bodenkultur in Wien soll aber genau das gemacht werden. Mit einer App werden die toten Tiere dokumentiert, deren Position bestimmt und an eine zentrale Datenbank übermittelt. So erfährt man, welche Tiere auf Straßen zu Tode kommen und welche Gründe es dafür geben könnte. Mit den Daten werden Hotspots identifiziert und es wird versucht, diese Hotspots zu entschärfen.
Mit Teebeuteln den Klimawandel erforschen? Das klingt erst einmal sehr ungewöhnlich. Schon seit 2010 werden mit dem internationalen Citizen Science Projekt Teatime4Science Daten zum Kohlenstoffkreislauf erhoben. Dazu werden je ein Beutel Grün- und Rooibos-Tee der Firma Lipton für 3 Monate im Boden vergraben. Anschließend wird der Inhalt der Beutel getrocknet, gewogen und an eine Datenbank übermittelt. Der Verlust an Gewicht entspricht dem in diesem Zeitraum zersetzten Pflanzenmaterial. Aus diesem Tea Bag Index gewinnen die Forschungseinrichtungen Informationen über lokale Bodeneigenschaften und die damit verbundenen Abbauraten. Aktuell gibt es mit Expedition Erdreich ein deutsches Projekt im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2020/21. Dort wird neben dem Tea Bag Index auch der pH-Wert des Bodens ermittelt. Das Thema lässt sich auch prima im Schulunterricht einbinden, wie Teatime4Schools mit 150 Schulen in Österreich zeigen konnte.
Im Projekt Plan Birke geht es um einen Baum, den eigentlich jeder kennt. Doch viel Wissen zu diesem Baum liegt im Verborgenen und vor allem weiß man erst wenig über dessen Anpassungsfähigkeiten im Zuge des Klimawandels. Wie wurde die Birke früher genutzt? Wie pflegt und bewirtschaftet man die Birke am sinnvollsten? Welche Wirkung hat sie als Mischbaumart? Und wie reagiert sie auf den Klimawandel? Bei Plan Birke werden nicht nur Informationen gesammelt und Daten erfasst, sondern es gibt auch weitere Mitmachaktionen für Einzelpersonen und Schulen. Eine spezielle App dient hier als zentrale Kommunikationsplattform und jeder kann mitmachen.
Auch eigene Projekte sind möglich
Wer bei den Plattformen nicht fündig wird, darf natürlich auch eigene Ideen verwirklichen. Spannende Projekte sind bereits mit wenig Geld und Aufwand möglich. Möchte man z.B. die Veränderung einer Landschaft dokumentieren, kann schon ein Bauwinkel an einem Pfosten genügen. Der Bauwinkel dient hierbei als Auflage für das eigene Smartophone. So können Spaziergänger Fotos machen und diese mit vordefinierten Hashtags auf Social-Media Plattformen posten. Dazu muss man sonst nichts weiter einrichten. Nach ein paar Jahren können so hunderte oder gar tausende Bilder zusammenkommen. Später lassen sich die Einzelfotos in einen Film umwandeln der die Änderung einer Landschaft prima dokumentiert. Als Projekt für eine Schule oder einer außerschulischen Bildungseinrichtung ideal, da man dies wunderbar mit landschaftsökologischen Themen verknüpfen kann. Aussichtsplattformen wären beispielsweise ideal für solche Fotostationen. In 10, 20 oder 30 Jahren könnten so umfangreiche Bildersammlungen entstehen, die für alle Beteiligten spannende Erkenntnisse liefern könnte.
Weitere Informationen
Auf den Citizen Science Portalen in Deutschland mit www.buergerschaffenwissen.de, in Österreich mit www.citizen-science.at und in der Schweiz mit www.schweiz-forscht.ch finden sich bereits umfangreiche Informationen. Wer sich noch mehr mit dem Thema Citizen Science in der Natur- und Umweltbildung von der fachwissenschaftlichen Seite auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich folgende Publikationen:
Interessante Beiträge! Danke!